Mario Draghi, der Mann auf den Europa schaut

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Anleihenkauf von europäischen Staatsanleihen veranlaßt. Dieser Ankauf ist unlimitiert und dient dazu die Refinanzierungskosten europäischer Staaten, insbesondere jener im Süden, zu reduzieren. Dies liegt daran, dass der Preis von Anleihen negativ mit dem Return der Anleihen korreliert. Ein Ankauf von Anleihen durch die Zentralbank treibt die Preise in die Höhe, was wiederum den Return auf diese Anleihen senkt. Das kommt einer Reduzierung der Finanzierungskosten für die europäischen Staaten gleich.

EZB Präsident Mario Draghi bei einem Meeting im Januar 2012. Bild: © World Economic Forum. swiss-image.ch/Photo by Monika Flueckiger

Die Aktion der Zentralbank Europas widerfährt vehemente Kritik von Volkswirten und Wirtschaftswissenschaftlern in Europa. Die größte Sorge: Ein Anleihenkauf, welcher die Liquidität im Euroraum erhöht, könnte zu höherer Inflation führen. Die Bundesregierung und wie auch die Regierungen anderer verschuldeter Eurostaaten stehen dieser Sache weniger kritisch gegenüber: Eine stärkere Inflation wird mit einem Schub für die Wirtschaftsleistung gleichgesetzt, ist gut für die Exportwirtschaft und entwertet den angesammelten Schuldenberg. Für Ende des Jahres wir in Deutschland eine Staatsverschuldung von rund 2,2 Billionen Euro erwartet. Eine Inflation von 3 Prozent würde dementsprechend einer Wertminderung dieser Schulden um 66 Milliarden Euro bedeuten, und das ganz ohne Sparmaßnahmen. Der deutsche Otto-Normalverbraucher hat hier eine andere Meinung. Geprägt von der Hyperinflation in Deutschland ist der deutsche Anleger sehr skeptisch, wenn eine Zentralbank höhere Inflation, durch zum Beispiel einen Anleihenkauf, in Kauf nimmt, um dadurch einzelnen Staaten die Refinanzierung zu vergünstigen oder Wirtschaftswachstum zu generieren.

Es ist nicht nur strittig in wie weit eine höhere Inflation zu stärkerem Wirtschaftswachstum führt, sondern auch inwieweit es die Aufgabe der europäischen Zentralbank ist, dies herbeizuführen.

Höhere Inflation führt zu höherem Wachstum. Diese Theorie wurde vom englischen Ökonomen Alban W. Phillips bereits im Jahr 1958 in der so genannten Phillips-Kurve festgehalten. Wenn die Zentralbank den Umlauf von Liquidität erhöht, steigen Preise, was wiederum zu einem höheren Wirtschaftswachstum führt. Dies wird dadurch begründet, dass Preise „sticky“ sind, sich also nur mit zeitlicher Verzögerung verändern. Somit werden Produkte und Dienstleistungen zunächst einmal relativ günstiger, wenn mehr Liquidität im Umlauf ist, da die Preise der höheren Geldumlaufmenge erst mit zeitlicher Verzögerung folgen.

Friedman bemerkte jedoch kurz darauf, dass die Phillips-Kurve empirisch nicht mehr nachzuweisen sei. Die Korrelation, die durchaus bestehe, begründe sich aus der Differenzen zwischen Erwartung der Inflation und tatsächlich eintretender Inflation. D.h. wenn die Marktteilnehmer die Inflation korrekt antizipieren, wovon im Allgemeinen heute ausgegangen wird, entfällt der oben beschriebene Zusammenhang der Phillipskurve. Diese Theorie wurde bekannt als „erwartungsmodifizierte Phillips-Kurve“. Die Volkswirtschaftslehre ist sich einig, dass Friedmans Theorie wohl höhere praktische Relevanz besitzt.

Die Frage, die jedoch immer noch offen ist, ist folgende: Soll die Europäische Zentralbank Inflation in Kauf nehmen, um südländischen Euroländern aus der Schuldenkrise helfen? Viele argumentieren, wenn man zu viele Schulden macht, ist man selbst schuld. Es ist nicht die Aufgabe der Zentralbank oder andere Euroländer für dieses Missverhalten aufzukommen. Dieses Aufkommen kann auch in Form von Inflation stattfinden. Das Mandat der europäischen Zentralbank ist es, ein stabiles Preisniveau zu garantieren und ein angemessenes Wirtschaftswachstum. Was hier angemessen ist, bleibt jedoch offen. Ein stabiles Preisniveau, argumentieren viele, kann auch von einem Computer garantiert werden, der auf gewisse Impulse reagiert. Die sinnvollste Balance zwischen Preisniveau und Wirtschaftswachstum zu finden ist die eigentliche Aufgabe eines Zentralbänkers.

Letztlich liegt es im Auge des Betrachters, ob Mario Draghi ein Retter oder ein Verschwender ist. Hierzu muss sich jeder selbst ein Urteil bilden und die Argumente abwägen.

2 Kommentare zu "Mario Draghi, der Mann auf den Europa schaut"

  1. Die Bundesregierung profitiert nicht nur wegen des schrumpfenden Schuldenberges von der Inflation, sondern auch von durch die Inflation verursachten höheren Steuereinnahmen! Löhne werden irgendwann der Inflation angepasst, dadurch rutschen Arbeitnehmer weiter in die Steuerprogression, denn die Grenzen hierfür werden natürlich nicht angepasst. Auch so verdient der Staat zusätzliche Milliarden an der Inflation!

  2. Letzten Sonntag war bei Günther Jauch im Talk ein Volkswirt (Ich glaube ehemaliger Chef-Volkswirt der Deutschen Bank oder sowas?) anwesend, der erläutert hat, dass die EZB sehr wohl intern weiterhin ein Limit für den Kauf von Staatsanleihen hat, dieses aber nicht öffentlich nennen kann, da ansonsten wieder irgendwelchen obskuren Spekulationen Tür und Tor geöffnet würde. Einmal mehr scheint hier der Bürger „zu seinem eigenen Schutz“ nicht umfassend informiert. Ob das in diesem Falle die richtige Entscheidung der EZB ist oder nicht vermag ich nicht zu sagen.

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